Wir kamen kurz nach dem 11. September 2001 als Geflüchtete aus dem Irak nach Deutschland und landeten im Oberallgäu. Dort gibt es mehr Kühe als Menschen, sagten wir Kinder irgendwann im Scherz. Ich kam in die dritte Klasse und sprach kein Wort Deutsch, wollte aber Kinderärztin werden. Bald begriff ich, dass das dreigliedrige Schulsystem diesen Traum schnell zunichte machen konnte. Ich musste damals sehr dafür kämpfen, dass ich überhaupt die Aufnahmeprüfung für die Realschule machen konnte. Ich bestand sie. Ein Jahr später war mein Notendurchschnitt so gut, dass ich auf das Gymnasium wechseln konnte.
Es war trotzdem keine einfache Zeit für mich. Wegen meines Kopftuchs wurde ich von vielen Menschen schief angeschaut. Auch in der Schule bekam ich wenig Rückendeckung. Zu einem Schüleraustausch nach England durfte ich nicht mitfahren, weil es hieß, dass es dort wegen des Irak-Kriegs gefährlich für mich sei. Ich habe mich aber nicht entmutigen lassen. Ich habe Nachhilfe gegeben, eine Mädchenfußballmannschaft gegründet und für die Lokalzeitung geschrieben. Irgendwann nahm die Integrationsbeauftragte des Landkreises Kontakt zu mir auf und ich durfte an Sitzungen des Integrationsbeirats zum Thema Bildungsgerechtigkeit teilnehmen. Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben.
Nach der Schule habe ich Politikwissen-schaften und Islamwissenschaften in Göttingen studiert. Später habe ich mich gefragt, ob ich diesen Weg unterbewusst eingeschlagen habe, weil ich das Gefühl hatte, für mein soziales Umfeld und für meine Religion eintreten zu müssen. In meiner Masterarbeit habe ich dann über Frauen in der Hisbollah geforscht. Ihnen wird in religiösen Schriften eine große Bedeutung beigemessen, die sich aber viel zu wenig in ihrer politischen Repräsentation widerspiegelt.
Seit vergangenem Jahr promoviere ich am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig im Fach Erziehungswissenschaften. In dem Projekt, an dem ich mitarbeite, untersuchen wir die Qualität des islamischen Religionsunterrichts an Schulen in Niedersachsen. Hintergrund ist, dass der Unterricht auch seitens der Politik mit großen Erwartungen aufgeladen ist. Im kommenden Schuljahr beginnt die Feldarbeit. Daneben organisiere ich Empowerment-Workshops für Muslime. Ich konnte auch deshalb Selbstbewusstsein entwickeln, weil mich meine Mutter immer unterstützt hat. Mittlerweile habe ich selbst eine eigene Familie mit zwei Kindern.